Puzzles in der Behindertenarbeit beim HPZ Irchenrieth
Für die einen sind Puzzles ein schöner Zeitvertreib, für andere wiederum diesen sie als hocheffektives Lernwerkzeug. Im Heilpädagogischen Zentrum in Irchenrieth spielt insbesondere die letztere Eigenschaft eine bedeutende Rolle. In der Einrichtung werden Menschen mit verschiedenen Arten und Graden an Behinderung betreut, gepflegt und natürlich auch gefördert. Als eine ganz besondere Fördermethode hat sich dabei das Puzzle herauskristallisiert. Durch die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten und die Beeinflussung unterschiedlichster körperlicher und geistiger Bereiche ist das Legespiel nämlich ein wahres Multitalent.
Wir wollten wissen, wie die Puzzles genau in der Arbeit mit den Behinderten zum Einsatz kommen und welche Erfolge damit erzielt werden. Das Team vom HPZ hat uns im Rahmen eines Interviews dazu spannende Einblicke gegeben. Selbstverständlich kamen wir zu diesem Termin nicht mit leeren Händen, sondern hatten gleich noch 100 Puzzles als Spende mit im Gepäck.
Liebes HPZ-Team, wie haben Ihre förderbedürftigen Personen denn reagiert, als sie die große Menge an Puzzles von uns für sie gesehen haben?
Die Freude und das Interesse daran waren natürlich riesig. Allgemein sind unsere Klienten und zu betreuenden Personen sehr neugierig, wenn sie Besuch bekommen. Und wenn dieser dann auch noch etwas für sie im Gepäck hat, ist das gleich umso schöner. Da ist der Reiz, sich sofort ans Auspacken der mitgebrachten „Geschenke“ zu machen, selbstverständlich enorm hoch. Sehen sie dann, was sich in den Kartons oder Taschen befindet, entflammt bei den meisten ruckzuck der Spieltrieb und die neuen Errungenschaften wollen am liebsten auf der Stelle ausprobiert werden.
In welchen Bereichen werden Puzzles bei Ihnen eingesetzt und wie oft?
Die Puzzles kommen bei uns sowohl in der Einzel- als auch in der Gruppentherapie zum Einsatz. Aufgrund der vielen positiven Eigenschaften, welche das Legespiel mit sich bringt, vergeht kaum ein Tag ohne Puzzeln bei uns. Insbesondere kleinere Varianten landen dazu täglich auf dem Tisch, da sie von unseren betreuungsbedürftigen Personen wunderbar alleine gelegt werden können. Ist das Motiv fertig zusammengepuzzelt, sind ganz klar auch die Freude sowie das Selbstvertrauen und der Stolz bezüglich dieser Eigenleistung ganz groß.
Die größeren Varianten mit 1000 oder 2000 Teilen bedürfen meistens der Unterstützung durch uns als geschultes Personal. Deshalb kommen diese eher in der Gruppen-, als in der Einzeltherapie zum Einsatz, wo dann gemeinsam an einem Motiv gepuzzelt wird.
Welche Eigenschaften trainieren Sie mit den Puzzles bei Ihren förderbedürftigen Personen?
Puzzles sind eine ganz wunderbare und vielseitige Trainingsmethode, mit der wir verschiedenste Eigenschaften fördern. Zu den für uns wichtigsten Effekten des Legespiels gehören insbesondere das Verbessern der Auge-Hand Koordination, der Feinmotorik, sowie der Ausdauer. Gerade bei den größeren Varianten können schon mal einige Stunden vorbeiziehen, bis sie fertig sind. Hier braucht man viel Geduld und Durchhaltevermögen und darf nicht gleich die Flinte ins Korn werfen, wenn mal nicht gleich auf Anhieb das passende Teilchen für die eine Lücke gefunden wird.
Auch die Schulung der Konzentration ist ein wichtiger Aspekt, den die Puzzles mit sich bringen. Der volle Fokus auf die aktuelle Tätigkeit, ohne sich von äußeren Einflüssen ablenken zu lassen, muss oftmals erst gelernt werden. Und das spielerische Lernen ist bei unserer Personengruppe dafür der beste und erfolgreichste Weg.
Was für uns im HPZ bei der Arbeit mit Menschen mit Behinderung auch noch wichtig ist, ist der Ausbau der Kohärenz-Fähigkeit. Durch das Erkennen von Zusammenhängen bzw. Details und das Aneinanderfügen der jeweils passenden Teilchen zu einem fertigen Motiv entsteht ein Gefühl der Stimmigkeit und eine Verbesserung des Blicks für „das große Ganze“. Auch ein Gespür für Logik und Resilienz erwachsen daraus.
Und, was selbstverständlich nicht fehlen darf, ist die Ausübung von Hobbys. Manche unserer Bewohner sind richtige Puzzle-Enthusiasten und freuen sich schon richtig darauf, die neu bekommenen puzzleYOU-Motive legen zu dürfen. Denn neben den ganzen Fördereffekten darf der Spaß am Ende auch nicht zu kurz kommen.
Als wie erfolgreich schätzen Sie den Fördereffekt der Puzzles bei Ihren förderbedürftigen Personen ein? Wie lange dauert es, bis erste Erfolge sichtbar werden?
Das lässt sich pauschal nicht so leicht beantworten. Jede unserer förderbedürftigen Personen ist unterschiedlich und lernt bzw. entwickelt sich in ihrem eigenen Tempo. Bei manchen stellen sich daher bestimmte Effekte früher ein, bei anderen wiederum dauert es eine Weile, bis Erfolge sichtbar werden. Die Art, was als Erfolg bezeichnet wird, hängt dabei natürlich auch immer vom Behinderungsgrad ab. Bei geringeren Graden ist das Lösen eines ganzen Puzzles ein Erfolg, bei schwereren Graden hingegen schon das Zusammenfügen einzelner Teilchen oder das Erkennen von gleichen Farben oder Randteilchen.
Kurzum: Die Effekte und Erfolge sind so individuell wie unsere förderbedürftigen Personen. Und genau das macht die Arbeit mit diesen Menschen auch so interessant und besonders.
Mit welchen Teilegrößen bei den Puzzles arbeiten Sie am meisten? Wie lange können sich Ihre förderbedürftigen Personen auf ein Puzzle durchschnittlich konzentrieren? Wird die Konzentrationsfähigkeit besser bei häufigerem Puzzeln?
Auch das ist sehr unterschiedlich und hängt selbstverständlich immer von unseren Personen ab. Bei kleineren Teilezahlen ist die Konzentrationsleistung ausgeprägter, da schneller ein Vorwärtskommen und damit Erfolge sichtbar sind. Zudem sind diese relativ schnell gelegt. Je größer die Teilezahlen werden, desto langsamer stellen sich Erfolgserlebnisse ein und desto eher schweift die Konzentration auch schon mal ab. Wie schnell sich die Konzentrationsfähigkeit verbessert, hängt aber sicherlich auch von der Leidenschaft ab, mit der sich dem Puzzle gewidmet wird. Während manche unserer Klienten voll und ganz in der Puzzle-Tätigkeit aufgehen und sich stundenlang darauf konzentrieren können, finden andere nicht einen solchen Draht zu dem Legespiel.
Gibt es bestimmte Altersgruppen oder körperliche Beeinträchtigungsarten, bei denen Puzzles mehr eingesetzt werden oder geeigneter sind als bei anderen?
Puzzles werden bei uns generell unabhängig vom Alter und dem Behinderungsgrad bzw. der Art der Beeinträchtigung eingesetzt. Wichtig sind hier die persönlichen Vorlieben. Jemand der gerne puzzelt, macht dies auch öfter und trainiert so die bereits beschriebenen Eigenschaften optimal. Aber auch eher weniger Puzzle-Begeisterte können einen Zugang zum Puzzeln finden, z.B. wenn Freunde in der Einrichtung auch mit Puzzeln im Rahmen von Gruppentherapien.
Wie muss ein Puzzle aussehen, um den größten Fördereffekt zu erzielen?
Am einfachsten zu lösen für unsere förderbedürftigen Personen ist ein Puzzle mit klar erkennbaren Motiven, wie z.B. einem Haus oder Blumen. Auch sehr bunte Motive mit vielen verschiedenen Farben sind einfacher zu legen, als sehr ähnliche Farbtöne. Insbesondere Menschen mit starken körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen tun sich umso leichter, je eher sie das Motiv erkennen und je farbenfroher es gestaltet ist. Vor allem bei großen Teilezahlen ist das relevant, da zu schwierige Motive ansonsten zu Frustration führen können.
Nutzen Sie die Puzzles im klassischen Sinne zum Puzzeln, oder setzen Sie diese auch anderweitig ein?
Aktuell werden die Puzzles bei uns hauptsächlich im klassischen Sinne genutzt, also zum Puzzeln. In dieser Form bringen sie ja bereits jede Menge positive und wichtige Eigenschaften für unsere Personen mit. Nach erfolgreicher Puzzle-Tätigkeit kommt es aber schon ab und zu mal vor, dass der oder die LegerIn das Puzzle als Trophäe behalten will. Diese werden dann oftmals eingerahmt und finden sich anschließend als Wanddekoration im Zimmer der Bewohner wieder.
Ganz herzlichen Dank für Ihre Zeit und die Beantwortung der Fragen! Es waren sehr spannende Einblicke in Ihre tägliche Arbeit. Ganz schön vielseitig, unsere Puzzles :)
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